Release: 2021/02/26
Rückblende: Würzburg, Hammer of Doom im November 2019. Corona hielten die meisten noch für ein Bier und Konzerte waren alltäglich. Manche klagten in meinem Umfeld sogar von einer “Übersättigung” bzw. “Festival-Müdigkeit”. Unvorstellbar, zirka 15 Monate danach…
Ganz und gar nicht alltäglich war der zweite Festivaltag in der altehrwürdigen Posthalle. Auf dem Programm stand nämlich die russische Epic Doom Metal-Legende Scald. Wohl niemand vor Ort hatte die Band, auf deren Konto das mythische Meisterwerk Will of Gods is a Great Power aus dem Jahr 1996 ging, jemals live auf einer Bühne erlebt. Was durften wir erwarten? Klar, Neu-Sänger Felipe Kutzbach Plaza (unter anderem Procession und Capilla Ardiente) ist stets eine Bank, da musste man sich überhaupt keine Sorgen machen. Aber die anderen vier Herren aus dem Line-up, das vor fast einem Vierteljahrhundert die besagte, von vielen abgöttische geliebte Platte eingespielt hatte, konnte keiner so recht einschätzen. Ich war mir sicher: Entweder würden Karry, Harald (beide Gitarre), Velingor (Bass) und Ottar (Schlagzeug) den Gig in Heavy Load-Manier vor die Wand fahren, oder triumphieren wie Cirith Ungol, beides einst auf dem Keep It True zu ertragen bzw. zu bestaunen. Nun, Scald nutzten ihre Spielzeit, um sich endgültig ein Denkmal zu setzen – wer dabei war, wird mir zustimmen. Pure Magie, ein episch-doomiger Rausch, der leider viel zu schnell vorbei war, aber immerhin von einem neuen Song namens “There Flies Our Wail!” als Rausschmeißer gekrönt wurde.

Und damit wären wir beim vorliegenden Output, der zweifellos das Etikett historisch verdient. Wir hören zum ersten Mal seit dem tragischen Tod des Wundersängers Agyl im Jahr 1997 neues Scald-Material. Die EP, erhältlich via High Roller Records, enthält eine Studioversion des oben genannten Tracks und eine Neueinspielung des Will of Gods is a Great Power-Klassikers “Eternal Stone”. Letztere ist ohne Frage gelungen, ich freue mich grundsätzlich immer, Felipes phänomenale Stimme zu hören – man denke nur an den Auftritt mit Solstice beim Keep It True im Jahr 2019, besser haben Rich Walkers Kompositionen niemals geklungen. Hier ist es völlig unangebracht, einen Vergleich mit Agyl zu ziehen, der Scald mit seiner weltentrückten Darbietung erst diese schwer in Worte zu fassende, mythische Aura verliehen hat, die man so nur auf sehr wenigen Metal-Alben findet. Daher: “Eternal Stone” klingt auf Platte ebenso großartig wie im November 2019 live auf der Bühne – ich bin froh, bald auch diese Version – in mehreren Varianten… – in meinem Plattenschrank stehen zu haben.
Aber nun zu “There Flies Our Wail!”, dem neuen Juwel in der Schatztruhe der russisch-chilenischen Formation. Es mag Anfang Februar grotesk klingen, jedoch bin ich mir sicher, meinen Song des Jahres bereits auf dieser EP gehört zu haben. Es gibt zwei Bands auf diesem Planeten, die mich jemals nach wenigen Sekunden dermaßen in ihren Bann ziehen konnten wie Scald anno 2021: Atlantean Kodex und Solstice. Die Nummer beginnt mit einem stimmungsvollen Intro, das gekonnt Spannung aufbaut, ehe sich nach 32 Sekunden die Pforten zum Epic Doom Metal-Valhalla öffnen, in dem Agyl vermutlich voller Stolz den neuen Tönen seiner alten Weggefährten lauscht. Diese melancholisch-erhabenen Gitarrenmelodien, die Karry und Harald aus ihren Instrumenten zaubern, weisen eine emotionale Tiefe auf, die mich sprachlos macht. Wenn Felipe nach 1 Minute und 36 Sekunden einsteigt, gibt es vermutlich bei den meisten Genre-Fans gar kein Halten mehr. Die heroischen Gesangslinien des seit einer halben Ewigkeit in Schweden lebenden Südamerikaners korrespondieren vorzüglich mit der Sechssaiter-Magie. Gibt es einen in jeder Hinsicht perfekten Song? Falls ja, ist “There Flies Our Wail!” einer davon. Es ist geradezu unbegreiflich, dass er keine fünf Minuten andauert. Die meisten Bands hätten daraus vermutlich einen Longtrack gemacht – aber Scald verfahren offensichtlich nach dem Motto “Weniger ist mehr”, zumindest in quantitativer Hinsicht.
Kurzum: Ich verbeuge mich vor Scald, bedanke mich für diesen Epic Doom-Diamanten und hoffe inständig auf neues Material in der Zukunft. Diese Truppe ist in der aktuellen Besetzung und Form unschlagbar. Die Messlatte im Genre liegt bereits im Februar so hoch, dass wohl alle Mitbewerber zum Scheitern verurteilt sind. Aber gegen diese sagenumwobene Band, die schon in den 1990ern von den Metal-Göttern geküsst worden ist, den Kürzeren zu ziehen, ist beileibe keine Schande. There Flies Our Wail! sollte vielmehr ein Ansporn für junge Künstler sein, hart an sich zu arbeiten, um in der Zukunft ähnliche Großtaten zustande bringen zu können.
Legendary epic doom metal band Scald releases its first new material since 1996. The titletrack of this EP, «There Flies Our Wail!», is definitely a contender for the title «best song of 2021». Both the melancholic, sublime guitar melodies and Felipe Kutzbach’s heroic vocals are completely outstanding. They really open the gates to epic doom metal Valhalla. Fortunately, the re-recording of Will of Gods is a Great Power track «Eternal Stone» is convincing, too – even if one should not compare it to the mythical original version with late Agyl on vocals. To keep it short: Scald is back – and I’m longing for more songs of this line-up in the near future!
Ein Kommentar zu „Review: Scald – There Flies Our Wail!“