Einleitung (von André/Blaze Breeg)
Als mein Freund und Kollege Aidan kürzlich mit seiner Sword Queen das Rheinland hinter sich ließ, um das westfälische Chapter des Epic Metal Blogs mit seiner Anwesenheit zu beehren, kam er nicht mit leeren Händen. Nahezu die gesamte Diskografie des britischen Künstlers Storrsson, der erfreulicherweise zu den Stammgästen auf unserer Facebook-Seite zählt, landete auf dem Gabentisch. Da mir die drei Neuzugänge allesamt sehr gut gefielen und sie obendrein zu 100% zum stilistischen Profil unserer Plattform passen, entstand die Idee, gleich ein neues Format ins Leben zu rufen: den Diskografie-Check. Ich hoffe, dass es uns gelingt, euch so die eine oder andere Perle ans Herz legen zu können, von der er bis dato noch nichts gehört habt. Allerdings finde ich es auch spannend, in der Zukunft die Outputs von etablierten bzw. bekannteren Bands zu begutachten.
Zunächst einmal bleiben wir jedoch dort, wo wir uns “traditionell” besonders wohlfühlen, im ganz tiefen Underground. Der erwähnte Storrsson bringt den Ball mit seinem ersten offiziellen Release, der Single (oder auch EP) Ages of Darkness (2017), der EP Freedom We Claim (2018) sowie dem Album Celtic Legends Volume I (ebenfalls 2018) ins Rollen. Ich freue mich, gemeinsam mit Aidan die genannten Releases des hochtalentierten Musikers aus London unter die Lupe nehmen zu können.

Ages of Darkness (von André/Blaze Breeg)

Als erstes sticht das epische Artwork ins Auge: Zu sehen gibt es eine Schwarzweiß-Version des großartigen Gemäldes Vercingetorix wirft Julius Cäsar seine Waffen zu Füßen. Es wurde im Jahr 1899 von Lionel Royer (1852-1926) angefertigt und ist im kunst- und kulturgeschichtlichen Musée Crozatier in Puy-en-Velay (Département Haute-Loire) zu bestaunen. Bemerkenswert ist überdies der Umstand, dass Alexander Storrsson, der zuvor in der inzwischen aufgelösten Heavy/Speed Metal-Band Hundred als Gitarrist/Sänger aktiv war, Ages of Darkness im Alleingang eingespielt, eingesungen, produziert und abgemischt hat. Ihr wisst es vielleicht schon: Damit kann man mich aus Prinzip immer ganz besonders beeindrucken.
Stilistisch verdienen die beiden Songs, der als Opener ins Rennen geschickte Titeltrack (5:06 m) sowie “For God and Glory” (5:33 m) das auch im Metallum verwendete Etikett “Epic Heavy Metal”. Nicht zuletzt wegen der Gesangslinien kommen mir oftmals die Schweden Grand Magus ab Album Nummer 3 in den Sinn, um gleich eine populäre Band als ersten Referenzpunkt ins Spiel zu bringen. Es liegt auf der Hand, dass wir es hier mit einer No/Low Budget-Produktion zu tun haben, die qua Sound den klassischen Mainstream-Hörer abschrecken dürfte. Meines Erachtens passt das Klangbild jedoch perfekt zur Atmosphäre der beiden epischen Hymnen, die Keep it True– und Up the Hammers-gestählte Genre-Fans mit Sicherheit goutieren werden.
Storrsson versteht es, erhabene, energiegeladene Melodien zu verfassen, die ausgesprochen einprägsam sind und – ganz klassisch – zum Dauer-Fäusterecken einladen. Die leidenschaftlichen Vocals verfügen – vor allem in den Höhen – über die dezente Kauz-Dosis, die Epic Metal in der Regel benötigt, um seine volle Wirkung zu entfalten. DAS Glanzlicht auf Ages of Darkness ist aber zweifellos die Gitarrenarbeit: Das kraftvolle Riffing putscht den Hörer wie bei Solstice in der Paul Kearns-Ära (oder auch bei Runemaster) gewaltig auf, sodass er völlig unerschrocken in die nächste Schlacht reitet. Der Feind sollte lieber die Flucht ergreifen… Völlig entfesselt sind die Leads, die in 1.000 Farben erstrahlen und mich immer wieder an Brocas Helm denken lassen – im wahrsten Sinne des Wortes “Wahnsinn”. Wer HIER nicht vor Begeisterung in die Knie geht, hat den Epic Metal nie geliebt.
Fazit: Storrsson ließ bereits mit seinem ersten Release (digital und CD-R) gewaltig aufhorchen. Mir ist es ein Rätsel, warum Ages of Darkness vor knapp vier Jahren im Underground trotz einiger kompetenter Trüffelschweine im Deaf Forever-Kosmos nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Die beiden Kompositionen enthalten nämlich, wie im Vorstehenden dargelegt, alle, aber auch wirklich ALLE, Zutaten, um Fans der kernigeren Epic Metal-Spielart restlos begeistern zu können. Zum Glück habe ich mit Aidan einen (meist) geschmackssicheren Kollegen, auf den (nicht nur) diesbezüglich Verlass ist…
Freedom We Claim (von Aidan/Divine Victim)

Auch für das Cover der darauffolgenden EP Freedom We Claim hat Storrson ein Gemälde mit einem historischen Inhalt gewählt. Das Kunstwerk von Harry Pane, welches auf den durchaus epischen Namen Harold’s Last Stand at the Battle of Hastings hört und für dieses Cover mit einem Gelbgrün-Stich versehen ist, stellt ein ganz zentrales Ereignis der englischen Geschichte dar. Mit dem Tode Harald Godwinson, des letzten bedeutenden angelsächsischen Königs von England, bei der Schlacht von Hastings 1066 und der Niederlage seiner Truppen gegen die Normannen unter der Führung William the Conquerors wurde ein neues Zeitalter in der englischen bzw. britischen Geschichte eingeläutet.
Im Vergleich zu der eher atmosphärischen, fast schon melancholischen Vorgängersingle hat Storrson hier auf doppelter Länge eine etwas andere Herangehensweise gewählt. Mit “Stand Your Ground” und “Fight or Die” hat man zwei kernige, energiegeladene, rohe aber zur selben Zeit auch total verspielte Nummern, die in ihrem genialen Durcheinander an Bands wie The Lord Weird Slough Feg oder Brocas Helm erinnern. Wenn ich hier von Verspieltheit spreche, meine ich kein generisches Progressive Metal-Geschreddere, sondern totale Eskalation, die auf allen Ebenen stattfindet. Allen voran der mehrstimmige Gesang. Von den Screams und Höhen kann man nur schwärmen: Was uns hier geboten wird, ist große Klasse, die ins Blut geht. Dazu kommt, dass Storrsson – ganz in Ironsword-Manier – unterschiedliche Stimmlagen verwendet. Durch den rauen, tiefen und fast schon gutturalen Klang wird eine wahrlich barbarische Brachialität erzeugt, die hervorragend mit dem sonstigen Gesang korrespondiert. In “Artefact”, musikalisch an die Single anschließend, werden uns wieder eingängige Melodien und in die Schlacht treibende Riffs geboten, die ausnahmslos jeden Epic Meta-Fan in ihren Bann ziehen sollten!
Dass ich den Titletrack übergangen habe, hat einen ganz einfachen Grund. Denn was wir hier haben, verdient eine ganz andere Form von Würdigung. “Freedom We Claim” ist eine monumentale Epic Metal Hymne sondersgleichen, ein galaktisches Epos, das ich in dieser Form ohne zu zögern auf eine Stufe mit Atlantean Kodex oder Solstice stellen würde. Es ist schlichtweg ein geniales Meisterwerk, eine vollkommene Synthese aus Epik, Atmosphäre, Intensität, Mystik und Leidenschaft. Die bezaubernden Gitarrenmelodien harmonieren fabelhaft mit den kravtvollen Schreien und den durchdringenden Chören. Der Chrous ist nicht nur unglaublich eingängig, sondern reißt einen regelrecht mit, bahnt sich seinen Weg durch den ganzen Körper und versetzt einen in eine andere Welt.
Was auf der Debütsingle schon sehr vielversprechend und aufregend klang, konnte auf diesem Release nochmal auf eine höhere Stufe gehievt werden. Wenn musikalisches Können auf musikalisches Gespür und musiklische Genialität trifft, können ganz große Werke daraus entstehen. Alexander Storrsson hat bereits mit dieser EP ein Werk für die Ewigkeit geschaffen und dass sie bis jetzt dennoch nur so wenig Aufsehen erregen konnte, grenzt an Frevel!
Celtic Legends Volume I (von André/Blaze Breeg)

Am 23. Juli 2018 erschien schließlich Storrssons erste Full-Length Celtic Legends Volume I – der Künstler war vor drei/vier Jahren bemerkenswert produktiv. Es liegt auf der Hand, dass es sich auch beim bis heute letzten Release um einen Augenschmaus handelt: Zu sehen ist das Gemälde Ossian beschwört einen Geist mit dem Klang seiner Harfe, im Jahr 1801 angefertigt von François Pascal Simon Gérard (1770-1837) und beheimatet im Musée National de Malmaison. Die Gesänge des Ossian stammen nicht – wie es das Kunstwerk suggeriert – aus der Antike, sondern sind erst im 18. Jahrhundert vom Schotten James Macpherson (1736-1796) verfasst worden. Inhaltlich könnte es darin nicht “blogkompatibler” zur Sache gehen: Im Mittelpunkt stehen nämlich epische Schlachten und edle Helden – kein Wunder, dass sich Storrsson davon inspirieren ließ.
Wenn man sich die Tracklist anschaut, stößt man auf zwei alte Bekannte, nämlich “For God and Glory” und “Ages of Darkness”, die bereits ein Jahr zuvor auf der oben besprochenen Single/EP Ages of Darkness veröffentlicht worden waren. Songs der von Aidan vorgestellten EP Freedom We Claim finden sich hier allerdings nicht, sodass sich die Fans über acht neue Kompositionen freuen durften. Storrsson deutet bereits im Opener “Cyflwyniad” an, was in den anstehenden knapp 55 Minuten zu erwarten ist: Abermals wilde, Brocas Helm-ähnliche Gitarrenabfahrten, eine dichte epische Atmosphäre sowie tonnenweise Kauz. Am Gesang werden sich weiterhin die Geister scheiden… Herzstück des Albums ist fraglos das fast 16-minütige, ambitionierte Epos “King of the Blade”, das Freunde der Arthur-Sagen auf der lyrischen Ebene hervorragend bedient. Grundsätzlich ziehe ich hier vor Storrsson meinen imaginären Hut: Im Alleingang solch ein Monstrum zu stemmen, ist eine reife Leistung. Klar, mit einer kompletten Band – insbesondere einem versierten Schlagzeuger – und einem druckvolleren Sound wäre der Song noch einmal auf einem höheren Niveau anzusiedeln. Aber das ist nur eine Randbemerkung, weil es dem Künstler auf eine beeindruckende Art und Weise gelingt, die Spannung in “King of the Blade” durchgängig hochzuhalten, sodass sich der Hörer zu keinem Zeitpunkt langweilt. Auch wenn ich mich wiederhole: Allein die Gitarrenarbeit reißt wohl jeden Fan kauzig-kerniger Epik-Töne mit. Mir gefallen insbesondere die weltentrückten, ausdrucksstarken Melodien, die das oben beschriebene Gemälde im Kopfkino zum Leben erwecken (auch wenn Arthur dort nicht auftaucht, aber der Fantasie sind hier natürlich keine Grenzen gesetzt…). Erfreulicherweise können auf Celtic Legends Volume I alle Tracks überzeugen, nicht zuletzt die Instrumentals, die auf dem vorliegenden Release kein Füllmaterial sind, sondern sogar zu den Glanzlichtern zählen. Bemerkenswert sind die dezenten Pagan Metal-Vibes, die insbesondere den Rausschmeißer “Dacw Nghariad” kennzeichnen – und vielleicht einen Ausblick auf künftige Storrsson-Arbeiten darstellen. Ich bin mir sicher, dass der junge Londoner ein durchaus experimentierfreudiger, wandelbarer Musiker ist, der seinen künstlerischen Zenit noch lange nicht erreicht hat.
Fazit: Celtic Legends Volume I gehört in jede Epic Metal-Sammlung, in der nicht nur Platz für die Klassiker ist. Storrsson erschafft leidenschaftliche Musik, die – man verzeihe mir diese Manowar-Anwandlung – “wimps and posers” in die Flucht schlägt und das Potenzial hat, die Herzen der aufgeschlossenen Fraktion der Keep It True-/Up the Hammers-Klientel im Sturm zu erobern. Eine klassische Underground-Perle – nicht für die Masse, aber zweifellos essenziell.
Fazit (von Aidan/Divine Victim)
Ich glaube, dass ich nicht falsch liege, wenn ich sage, dass beim Lesen der vorigen Zeilen die Leidenschaft wirklich spürbar war. Die ganze Diskografie von Storrsson ist ein intensives Erlebnis, ein entfesseltes Abenteuer ohne Tiefen und selten bekommt man die Kernessenz von Musik so klar vorgelegt wie hier. Musik ist eine zeitloses Kunst und Storrssons Werke sind keine einfachen Konsumgüter. Nein, was Storrson geschaffen hat, sind Kunstwerke, die in der präsentierten Form genau die Genialität des Machers widerspiegeln. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Alexander Storrsson nicht nur durch sein Können, sondern vor allem durch seinen musikalischen Geist zu den besten Musikern der letzten Generation gehört. Man kann nur gespannt sein, was man in Zukunft von ihm zu hören bekommt!