Atom Smasher zählt zu den Bands, die Aidan und ich ohne jegliche Einschränkung großartig und zu 100% Epic Metal Blog-kompatibel finden, nachzulesen auch in meinem Review der Debüt-EP The Age of Ice (2020) sowie auf unseren Newcomer– und EP-Bestenlisten aus dem zurückliegenden Jahr. So war es nur eine Frage der Zeit, bis wir das Duo endlich zum großen Zoom-Interview bitten würden. Da sich nur Gordon Overkill – ein gern gesehener Stammgast auf unseren Social Media-Plattformen – öffentlich äußert, wurde das Ganze zur Primetime ein Fall für Drei. Wir quatschten eine gute Stunde über Atom Smasher, Epic Metal, Gordons Lieblingsplatten und, jaja, den HSV. Besondere Aufmerksamkeit galt aber natürlich obendrein William J Tsamis, dem kürzlich verstorbenen Warlord– und Lordian Guard-Mastermind (möge er in Frieden ruhen). Viel Spaß beim Lesen! [André]

André: Gordon, grüße dich! Fangen wir mal ganz leicht an: Welches Album ist das letzte, das du vor diesem Zoom-Interview gehört hast?
Gordon Overkill: Das war Voice for the Silent von den Holländern Emerald.
André: Und welche Platte hast du zuletzt gekauft?
Gordon Overkill: Das letzte gekaufte Album, das bereits bei mir angekommen ist, war Todeskommando Atomsturm, die Punkplatte, die Wolf Mühlmann im Deaf Forever so gefeiert hat.
André: Magst du generell Punk?
Gordon Overkill: Ja, ich habe mit Punk angefangen, bevor ich Mitte der 90er dem Heavy Metal verfiel.
André: Was ist deine liebste Punk-Band? Magst du Klassiker wie The Clash?
Gordon Overkill: Ich mag vor allem Deutsch-Punk, zum Beispiel Vorkriegsjugend und so etwas in der Art. Die Toten Hosen mag ich aber auch – das ist so eine der Verbindungsbands zwischen meinen Brüdern und mir. Auf jeder unserer Familienpartys läuft irgendwann zu später Stunde „All die ganzen Jahre“ und wir haben alle Pipi in den Augen…
Atom Smasher
Aidan: Wie lange gibt es Atom Smasher eigentlich schon?
Gordon Overkill: Ungefähr zehn Jahre. Ich habe vor Atom Smasher zusammen mit Mike, der bei Messerschmitt singt und Gitarre spielt, in einem anderen Projekt gespielt, in dem wir uns ein bisschen die musikalischen Hörner abgestoßen haben. Das ging auch in eine relativ epische Richtung, hat sich aber dann irgendwann im Winde verlaufen – wegen vieler Anfängerfehler. Man wusste einfach noch nicht so genau, wie es läuft. Dann hat Mike Messerschmitt gegründet, am Anfang noch ohne mich. Ich habe mir in dieser Zeit eine neue Spielwiese gesucht – und das waren dann Atom Smasher. Das lief am Anfang so: Ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, am Soundtrack zu einem C-Movie-Splatterfilm zu arbeiten. So kam ich zu The Judge, der ein sehr guter Gitarrist ist. [The Judge spielt auf The Age of Ice die Lead-Gitarren, Bass und Schlagzeug, Identität bleibt geheim – Aidan ist es aber definitiv nicht] Daraufhin haben wir unseren ersten gemeinsamen Heavy Metal-Song aufgenommen. Das hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir beschlossen haben, das Ganze fortzuführen.
André: Der Name deiner Band geht offensichtlich auf Cirith Ungol zurück. Hat dich diese Band generell ganz besonders inspiriert?
Gordon Overkill: Es ist eine meiner absoluten Lieblingsbands. Ich habe nicht ohne Grund King of the Dead auf dem Arm tätowiert. Die Band ist auch für mich musikalisch eine große Inspiration. Man hört es vielleicht nicht so direkt raus, wie zum Beispiel Manilla Road. Wenn man sich den Drumbeat von There Lives A Beast Within This Cave anhört, stellt man fest, dass das schon recht nahe an Chaos Rising ist.

André: Jetzt hast du gerade selbst schon Manilla Road angesprochen. Was waren weitere Bands, die euch beeinflusst haben?
Gordon Overkill: Die ersten Songs unserer 7“ sind um ein geklautes Jaguar-Riff herum konstruiert worden. Ich habe für beide Nummern ein Riff von ganz alten Jaguar-Kompositionen genommen, das dann abgewandelt und in einen anderen Kontext gestellt. Diese Band muss man also auf jeden Fall nennen. Ansonsten sind Slough Feg ein ganz wichtiger Einfluss – eine meiner absoluten Lieblingsbands. Was ich an denen bewundere, sind die Offenheit und der Mut, im Heavy Metal mit sämtlichen Konventionen zu brechen, die man brechen kann und dabei trotzdem wahnsinnig geil zu klingen. Cirith Ungol, Manilla Road, Slough Feg und Jaguar sind also die wichtigsten Einflüsse für Atom Smasher.
Aidan: Slough Feg sind ja auch immer noch auf dem hohen Niveau, auf dem sie mal angefangen haben.
Gordon Overkill: Slough Feg stehen bei mir sogar an der Spitze, weil sie qualitativ in der Breite besser waren als andere Epic Metal-Bands. Sie haben wirklich nur überragende Alben aufgenommen.
André: Wenn wir so an Aidans Shirt denken, sprichst du jetzt indirekt ein sensibles Thema an. Du hast in der Manilla Road-Diskografie schon ein paar Schwachstellen ausgemacht?
Gordon Overkill: Kein einziges Album nach der Reunion hat mich wirklich komplett umgebolzt. Für mich haben Manilla Road tatsächlich drei 10/10er-Alben – Metal, Crystal Logic und Open the Gates –, die anderen sind ein bisschen darunter. 9/10, völlig überragend, ist auch noch die Mark of the Beast. Aber nicht falsch verstehen: Manilla Road sind eine ganz wichtige Band in meinem Leben!
Aidan: Epic Metal kommt ja besonders live zum Strahlen. Planst du, die Atom Smasher-Songs auch mal irgendwo live zu spielen?

Gordon Overkill: Überhaupt nicht. Wir sind nur zwei Leute und haben kein komplettes Line-up. Wir hatten ja tatsächlich nie vor, mit Atom Smasher überhaupt mal etwas zu veröffentlichen. Das Grundkonzept der Band war, völlig unkommerziell nur für uns selbst Musik zu machen. Es macht eh erst Sinn, über Live-Auftritte nachzudenken, wenn wir mehr EPs herausgebracht haben und ein komplettes Konzert-Set spielen können. Falls uns aber mal jemand fragt, ob wir Bock hätten, für DoomSword zu eröffnen, würde ich schon fragen, ob jemand Bock hat, die Songs mit uns zu spielen. Definitiv werden wir aber nie an jeder Milchkanne spielen.
André: Können wir in absehbarer Zeit mit neuem Atom Smasher-Material rechnen? Hast du schon neue Songs?
Gordon Overkill: Kleiner Spoiler: Am letzten Juni-Wochenende gehen wir ins Studio und nehmen etwas Neues auf. Da sind wir gerade voll in der Vorbereitung. Und das wird wieder eine 7“ – das passt auch zu unserer Arbeitsweise: Wir schieben nichts gerade und kopieren nichts. Wir editieren so wenig wie möglich. Ich bin spielerisch ein ziemlich schlechter Musiker – ich kann daher nicht in einer Woche, ohne Schummeltricks, ein Album sauber einspielen. Wir bräuchten daher sicherlich drei Wochen Zeit im Studio, und das finanziert kein Label für eine Band, die nicht live spielt, keine Homepage hat und keinerlei Karriereambitionen verfolgt.
André: Daran knüpfe ich gerne mal an. Ihr seid bei Gates of Hell Records ja super untergekommen.
Gordon Overkill: Absolut! Wenn nicht irgendein Label, das ich selbst absolut großartig finde, gefragt hätte, hätten wir auch nichts veröffentlicht. Wir sind da 100% happy! Cover und Layout der 7“ sind auch prima geworden – ich bin mit dem ganzen Ding daher total zufrieden.
Aidan: Dass du ein großer Epic Metal-Maniac bist, steht ja außer Frage. Daher liest du ja selbst sicherlich viele Artikel über das Genre. Liest du auch häufig Reviews über deine Musik? Und hast du dich da schon mal so richtig geärgert oder auch gefreut?
Gordon Overkill: Ich lese alles, was ich finden kann. Ich finde es halt spannend zu sehen, was Leute von uns halten. Ärgern und freuen, ja das kommt vor. Ich bin selbst ein Riesenfan von unserer eigenen Musik, auch auf die Gefahr hin, arrogant zu klingen, aber ich finde uns saugut. [lacht] Der Hauptgrund für uns, etwas zu veröffentlichen, ist einfach die Tatsache, dass es ein paar Leute gibt, die unsere Musik mögen.
André: Welche Kritikpunte gab es denn in manchen Reviews?
Gordon Overkill: Manche mochten den Sound nicht, viele finden meinen Gesang scheiße – das darf man finden, der ist kauzig. Man muss übrigens wissen, dass The Judge deutlich besser singen kann als ich. Aber, aus irgendeinem Grund, möchte er, dass ich das mache. Andere fanden die Songs einfach durchschnittlich, ohne tolle Ideen – und da habe ich null Verständnis, ich finde die ja völlig geil [lacht].
William J “Bill” Tsamis (RIP)
André: In den letzten Tagen war der Tod von Bill Tsamis das vorherrschende Thema in unserer Szene. Haben dich die Werke von Warlord und Lordian Guard auch beeinflusst?
Gordon Overkill: Ja, ganz klar! Songwriterisch ein deutlicher Einfluss, wenn man sieht, wie ich Doppelharmonien auf Gitarren schreibe – ich denke da vor allem an das harmonisch-sakrale Element. Auch in Bezug auf die Chöre haben Warlord eine Rolle gespielt. In der frühen Atom Smasher-Phase war ich auch eng mit Bill in Kontakt, um über die Songs zu sprechen. Kurz nach der Aufnahme konnte man There Lives A Beast Within This Cave auch schon im Internet hören, weil Bill den Song auf seiner Facebook-Seite hochgeladen hatte. Er hat sich da wahnsinnig viel Zeit für uns genommen und Tipps gegeben. Sowohl menschlich als auch musikalisch ist Bills Tod ein ganz großer Verlust.
André: Warst du über die große Anteilnahme nach Bill Tsamis’ Tod erstaunt? In meiner Facebook-Timeline war zwischenzeitlich jeder zweite Post ein Warlord-oder Lordian Guard-Cover.
Gordon Overkill: Nein, das habe ich so erwartet! Warlord war eine überragende Band. Und ich bin hier natürlich vorgeprägt, weil es für mich persönlich eine intensive Sache war. Warlord waren auch eine der ersten Bands, die meine Frau und ich live angeschaut haben, Wacken 2002. Da hatten wir uns gerade kennengelernt. Daher ist Warlord in vielerlei Hinsichten eine ganz wichtige Band für mich.
André: Wacken 2002, das war ja mit Joacim Cans. Wie fandest du Warlord mit ihm?
Gordon Overkill: Überragend! Rising out of the Ashes ist meine liebste Warlord-Scheibe. Die Songs sind großartig wie immer und die Platte hat den besten Sound. Davor und danach gab es nie so eine harte metallische Produktion – finde ich völlig geil.
Aidan: Auf der Rising out of the Ashes sind ja ein paar Lieder, die man von Lordian Guard kennt. Wie stehst du generell zu dieser Band? Und was hältst du vom Sound auf deren Platten?
Gordon Overkill: Der Sound ist Müll! Komplett Müll. Dieser Drumcomputer beißt schon mächtig in die Ohren. Die Songs sind aber überragend. Und darauf kommt es an. Der Sound ist für mich zweitrangig, wenn die Songs gut sind und mit Leidenschaft gespielt werden. Mit Lordian Guard muss man sich einfach länger beschäftigen. Am Anfang ist das Blechgerumpel im Hintergrund schon sehr abstoßend, da möchte man eigentlich in Deckung gehen. Aber musikalisch ist das einfach zu gut.
André: Magst du eigentlich eher Warlord oder Lordian Guard?
Gordon Overkill: Die Grenzen sind für mich mit Rising out of the Ashes und der letzten Warlord [gemeint ist The Holy Empire, 2013 ]verschwommen, weil das Sakrale da auch eine dominante Rolle spielt.
Epic Metal
Aidan: Wie stufst du den aktuellen Zustand der Epic Metal-Szene ein? Dass sie sehr lebendig ist, wird ja fast täglich durch tolle Releases bestätigt. Welche Entwicklungen findest zu besonders spannend?
Gordon Overkill: Geil finde ich, dass der Epic Doom in den letzten fünf bis sieben Jahren einen ordentlichen Schub bekommen hat. Stygian Crown finde ich klasse, auch die letzte Wheel-Scheibe – das war die letzte Platte, die ich bestellt habe, die ist aber noch nicht hier. Wenn man noch ein Jahrzehnt zurückgeht, muss man sagen, dass es seitdem mehr reine Epik-Bands gibt, die den Stil kompromisslos durchziehen. Unterm Strich bin ich auf jeden Fall sehr zufrieden. Es kommen sehr viele geile Sachen raus, auch etwas experimenteller. Eine meiner absoluten Lieblingsscheiben stammt von Grendel‘s Sÿster – völlig überragend, fantastische Songs.
André: Da gibt es ja auch eine besondere Geschichte in Bezug auf Aidan. Das war ja dein erster Probereview.
Aidan: Ja, auf Instagram hatte ich davor schon mal einen kleinen Post dazu veröffentlicht. Dadurch – und durch das Hammer and Iron-Festival – sind André und ich dann auch in Kontakt getreten. So ist das alles hier dann im Grunde genommen zustande gekommen… Jetzt hast du, Gordon, ja schon einen interessanten Punkt angesprochen. Wie würdest du den reinen Epic Metal, der seit der Jahrtausendwende aufgekommen ist, generell beschreiben? Was gehört dazu? Was zeichnet ihn aus?
Gordon Overkill: Das ist keine leichte Frage, aber da kommt man ja nicht drum herum, wenn man regelmäßig euren Blog liest. [lacht] Man hat ja in seinem Alltag oft das Gefühl, dass wenig von dem, was man macht, wirklich eine Tragweite hat, die über die eigene Lebenswirklichkeit hinausgeht. Das ist vielleicht das Entscheidende für mich in Bezug auf Epic Metal: Es wird musikalisch und textlich ein Gefühl vermittelt, das den Alltagshorizont transzendiert. Wenn ich Bathory höre und auf das Meer blicke oder Aufnahmen aus dem All sehe, habe ich ein ähnliches Gefühl. Sachen, die Millionen von Jahren schon vor uns da waren und auch noch Millionen von Jahren nach uns da sein werden. Epik hat oft etwas mit Bedeutung zu tun. Für mich gibt es im Heavy Metal zwei Tendenzen, mit dem Gefühl der relativen Bedeutungslosigkeit des eigenen Lebens umzugehen: Zum einen Rock’n’Roll mit „Fick die Welt!“ – vielleicht bin ich nicht bedeutend, aber das ist mir scheißegal und ich mach einfach das, was mir jetzt in den Sinn kommt. Und dann gibt es zum anderen die epische Tendenz, die besagt, dass es noch etwas Größeres gibt. Das kann an ganz unterschiedlichen Sachen festgemacht werden. Bei Warlord ist das der christliche Mythos aus dem Alten Testament, der natürlich episch und groß ist. Bei Bathory ist es die Natur. Epik transzendiert irgendwie in irgendeiner Form immer das Gefühl der Nichtigkeit in der persönlichen Lebenswelt. Ich habe da in letzter Zeit immer wieder das Wort Eskapismus, also Weltflucht, gelesen. Ich finde nicht, dass es nur das ist, weil Epik immer in irgendeiner Form wieder auf einen zurückstrahlt – in manchen Situationen fragt man sich schon, ob es da doch etwas Größeres im Leben gibt. Das Epic Metal-Special im Deaf Forever fand ich ziemlich geil. Aber Warlord wurde da meiner Meinung nach zu Unrecht als Beispiel für den gerade genannten Eskapismus aufgeführt. Das stimmt, finde ich, nicht, weil Bill oft total reale Grundlagen für seine Texte hatte – er hat zum Beispiel den Kampf gegen den Terrorismus episch aufgearbeitet, egal was man nun davon halten mag. In “Aliens” geht es um das Überleben der Menschheit – das sind für eine Epic Metal-Band schon wahnsinnig weltliche Lyrics.
André: Sind dir Lyrics generell sehr wichtig?
Gordon Overkill: Lyrics sind für mich auf jeden Fall ein entscheidendes Phänomen. Der Begriff Epik kommt ja aus der Literatur. Da spielen Texte in der Musik dann schon eine Rolle. Ich finde den musikalischen Aspekt aber fast noch spannender. Melodien können dieses Gefühl, diese Epik, ja auch hervorrufen. Pathos, nicht negativ gemeint, ist da sicher ganz wichtig. Man muss die Sachen, von denen man spricht, mit einem gewissen Pathos herüberbringen, um ihnen Bedeutung zu verleihen. Manchmal hat man auch bei Instrumental-Tracks ein episches Gefühl – ein Musikwissenschaftler könnte das jetzt sicher genauer erklären.
André: Jetzt kennen wir beide uns ja auch von Live-Erlebnissen, bei denen der Kodex im Mittelpunkt stand. Verbindet dieses Band all die Elemente, die du gerade genannt hast?
Gordon Overkill: Absolut! Sowohl textlich als auch musikalisch. Schau dir die Lyrics mit all den Mythen und Legenden an, die ja auch für dieses Überzeitliche stehen und Generationen miteinander verbinden. Und musikalisch… man denke an die Gitarrenmelodie von “Twelve Stars and an Azure Gown“, da muss keiner singen, damit man merkt, dass es episch ist. Ich kriege jetzt schon wieder eine Gänsehaut, nur wenn ich daran denke… Die Kodex-Texte sind generell einfach wahnsinnig gut geschrieben. Das ist schon ein herausragendes Merkmal der Band.
Aidan: Passend zum Thema – als du gerade deine Definition von Epic Metal vorgetragen hast, dachte ich erst, du liest einen Songtext von Servants to the Tide vor. “North Sea” ist ja ähnlich – man steht am Meer und denkt, wie zeitlos alles ist. Und wenn wir an diese Band, aber auch an die zuvor erwähnten Grendel‘s Sÿster denken, kann man meinen, dass der Epic Metal nun auch Deutschland erreicht hat. Wie würdest du diese Entwicklung beurteilen?
Gordon Overkill: Das stimmt. Deutschland ist lange Zeit ein ziemlich unbeschriebenes Blatt gewesen. Ich glaube wirklich, dass Atlantean Kodex die herausragende Türöffnerfunktion hatten. Deutschland war vorher eher dieses „Fickt die Welt und nach uns die Sintflut“, wenn man an Heavy Metal denkt. Es gab natürlich epische Songs, Sacred Steel – Sword of the King, das war auch Epic Metal, aber das beschränkte sich dann auf ein, zwei Nummern pro Album. Epic Metal als klares Leitbild für eine Band, das fing mit Atlantean Kodex an.
Aidan: Ich persönlich hätte jetzt noch an Rebellion gedacht. Die hatten auch einige Lieder mit epischen Elementen. Ansonsten hatten wir auf Facebook ja schon mal die Diskussion angehauen, inwiefern Helloween episch ist bzw. epische Elemente hat.
Gordon Overkill: Maiden sind auf ihre Art sicher auch episch, aber es ist natürlich keine Epic Metal-Band – und bei Helloween ist es meiner Meinung nach ähnlich.
André: Helloween ist ein gutes Schlagwort… Wie stehst du zu der Tendenz, Alben in allerlei limitierten Editionen zu veröffentlichen? Dieses Phänomen ist ja mittlerweile auch im Underground zu beobachten.

Gordon Overkill: Ja, ich sehe diese Tendenz auch. Ich selbst bin kein Raritätensammler, der zum Beispiel sämtliche Editionen seiner Lieblingsscheiben horten muss. Ich kaufe schwarzes Vinyl und fertig – alles darüber hinaus ist für mich Schnickschnack.
Aidan: Ja, das ist eine gute Einstellung.
Gordon Overkill: Man muss aber auch, mit einem Blick auf zum Beispiel Eternal Champion sagen, dass ich das alles durchaus verstehen kann. Da muss ja auch mal ein bisschen Kohle reinkommen, wenn man die Band einigermaßen professionell fahren will. Ich rege mich über das ganze Thema auch gar nicht auf, ich kaufe den Scheiß nur einfach nicht. Wenn jemand das haben will und eine Band die Erlöse in eine gute Veröffentlichung steckt, ist das für mich auch okay. Es ist nur einfach nicht meine Welt.
Aidan: Ja, hoffen wir das mal bei Eternal Champion angesichts des Veröffentlichungsrhythmus‘…
Gordon Overkill: Ja, lieber etwas länger brauchen, aber dafür eine gute Qualität abliefern…
André: Wir müssen zugeben, dass Aidan und ich die silberne Edition der Servants to the Tide in Griechenland bei No Remorse bestellt haben, die brauchten wir dann doch dringend.
Gordon Overkill: Die Platte habe ich noch gar nicht, Schande über mich. Es ist aber eine der Bands, mit der ich mich wegen des Interviews [Teil 1 und Teil 2] bei euch näher beschäftigt habe. Danach dachte ich mir: Kauf dir den Scheiß! Die hier [hält die Kramp – Gods of Death-Vinyl in die Kamera] habe ich nach dem Interview bei euch gekauft.
André: Na, wunderbar – da haben wir ja unseren Auftrag erfüllt! Kramp hat ja auch so eine gewisse Kauznote, die die ganze Sache spannend macht.
Gordon Overkill: Ja, der Gesang ist sicher nicht der Standard-Saubermann-Stil. Das hat was Räudiges und Kauziges – und das ist für mich etwas Positives.
Aidan: Hast du eigentlich mal in die Gladius Dei reingehört?
Gordon Overkill: Nein noch nicht…
Aidan: Zur letzten EP hatte ich den Review geschrieben. Das ist ja ein Einmann-Projekt aus Bayern mit Heim-Produktion. Soundtechnisch ist das vielleicht noch unter Lordian Guard angesiedelt. Aber musikalisch sehe ich persönlich da sehr großes Potenzial. Kann ich dir daher nur ans Herz legen!

Lieblingsalben
André: Welche Platten, die in diesem Jahr veröffentlicht worden sind, findest du besonders stark?
Gordon Overkill: Da muss ich auf jeden Fall die Chevalier-7“ nennen – die ist überragend und ganz weit oben auf meiner Liste. Dann die Kramp [ist im letzten Jahr erschienen, aber die Vinyl kam erst kürzlich raus, daher passt das], die finde ich total geil. Herzel finde ich auch sensationell!
Aidan: Ja, bei Herzel sitze ich schon länger am Review. Am Anfang hat sich die Platte für mich gar nicht geöffnet. Musikalisch fand ich das natürlich sehr gut – aber mir fehlte da die Connection, dieses Gefühl, Gordon, das du vorhin beschrieben hast. Aber ich habe das Album auch auf Vinyl, und da klingt es noch mal ganz anders. Ich gebe der Platte auf jeden Fall Zeit, damit sie am Ende auch einen würdigen Review erhält.
Gordon Overkill: Die Band ist aber auch nicht everybody’s darling. Ich kenne viele Leute mit einem hervorragenden Musikgeschmack, bei denen sie nicht zündet.
Aidan: Ja, man fragt sich natürlich, ob die französische Sprache – bzw. der bretonische Akzent – eine Rolle dabei spielt. Aber ob das nun der Grund ist, kann ich auch nicht sagen…
Gordon Overkill: Das ist für mich klar die beste französische Band seit Hürlement. Das heißt etwas, denn die finde ich richtig geil.
André: Gab es jenseits von Epic Metal in diesem Jahr noch Releases, die du stark fandest?
Gordon Overkill: Ich habe in diesem Jahr vor allem epische Sachen gekauft. Lunar Shadow habe ich noch geholt – die finde ich interessant. Ich habe Max schon mal geschrieben, dass ich sie mit 8/10 bewerten würde, dabei wäre aber das ganze Spektrum von 5/10 bis 10/10 vertreten. Die Wheel muss man natürlich noch nennen! Das ist vielleicht die beste deutsche Doom-Scheibe, die ich je gehört habe und die beste Doom-Scheibe überhaupt seit The Year Is One von Spiritus Mortis – die ist auch ein moderner Klassiker.
André: Arkadius, der Sänger, ist natürlich fantastisch.
Aidan: Wir hatten ja auch gerade gesagt, wie wichtig Emotionen sind. Und ich habe wirklich schon lange keinen Sänger gehört, der die so gut vermitteln kann.
André: Ich finde auch, dass sich Arkadius verglichen mit den ersten Wheel-Releases auf der aktuellen Scheibe sogar noch gesteigert hat.
Aidan: Ja, definitiv! Auch deshalb habe ich am Bandcamp Friday bei Wheel zugeschlagen. Aber noch ein anderer Punkt: Was sind eigentlich deine Top 5-Platten?
Gordon Overkill: 1. Manowar – Into Glory Ride, 2. Bathory – Blood on Ice, dann wird es ein bisschen schwierig. 3. Cirith Ungol – King of the Dead, 4. Slough Feg – Traveller und 5. – das ist brutal, weil ich mich für irgendetwas entscheiden muss – Candlemass – Epicus Doomicus Metallicus. Es ist tut in der Seele weh, solch eine Liste zu machen. Aber das macht alles natürlich auch nur Sinn, wenn es wehtut.

Live-Erlebnisse
André: Da du gerade Manowar erwähnt hast. Wie stehst du so zu den aktuellen Manowar? Kannst du das zum Beispiel live immer noch genießen?
Gordon Overkill: Ja! Ich war auf der sogenannten „Abschiedstour“…
Aidan: Die wievielte war das eigentlich? [lacht]…
Gordon Overkill: [lacht] Da haben sie unter anderem „Mountains“ gespielt. Wenn Eric Adams das singt, ist es mir scheißegal, was ansonsten noch passiert. Ich habe auch schon meine Karten für die nächste Tour. [lacht] Ich war schwach… Aber ich bin eh unendlich dankbar, dass ich auf diesem Magic Circle-Festival war, auf dem sie die ersten sechs Alben komplett gespielt haben. Ich habe Eric Adams selten so gut gesehen wie an diesen zwei Tagen, da hat er gesungen wie ein junger Gott. Ich habe an etlichen Stellen geheult. Das war garantiert das beste Konzert meines Lebens.
André: Was war denn das erste Metal-Konzert deines Lebens?
Gordon Overkill: Die erste Metal-Band, die ich live gesehen habe, war eine norddeutsche Underground-Band namens Soylent Green, ein echter Geheimtipp – die haben 1996 ihr erstes selbstbetiteltes Album herausgebracht. Das war, glaube ich, auch die “Eigenproduktion des Monats” im Rock Hard. Die sind übelst gut, haben aber leider nur eine Scheibe herausgebracht.
André: Ich kenne dich ja auch von einigen Festivals. Würdest du eigentlich das Hell over Hammaburg als dein Lieblingsfestival bezeichnen – auch weil du dort deine Family besuchen kannst?
Gordon Overkill: Headbangers ist die Nummer 1, das ist noch mehr unser Familienfestival. Ich war seit 1999 jedes Jahr dort. Da kennt man mittlerweile alle. Meine Brüder sind immer da – und meine Mutter kommt da an einem Tag vorbei, um uns Laugenstangen oder irgendetwas Selbstgebackenes zu bringen. Hell over Hammaburg und Keep it True kämen bei den Festivals dann auf den folgenden Plätzen.
André: Ja, dann hoffen wir mal, dass das im nächsten Jahr alles wieder anläuft…
Gordon Overkill: Ja, man beißt sich so durch. Aber ich habe übelsten Entzug.
André: Aidan, dein Konzert-Start, um auf das Thema noch mal zu kommen, war ja damals auch gleich 10/10 mit Manilla Road…
Aidan: Ja, obwohl ich zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht so auf Underground stand. Ich muss mich ja outen: Ich bin erst durch Sabaton auf Metal gekommen. Durch meinen Vater bin ich dann auf Manilla Road aufmerksam geworden. Als das Konzert in Lünen damals 2018 stattfand, kannte ich eigentlich nur Crystal Logic. Wenn mein jetziges Ich das Konzert noch einmal besuchen würde, wäre das eine ganz andere Erfahrung. Trotzdem werde ich das natürlich nie vergessen, das war ein einzigartiges Erlebnis. Letztendlich hat das Konzert diese Musik auch für mich geöffnet.

Gordon Overkill: Ja, manchmal braucht man ja so eine Heranführung. Kleine Anekdote: Mit Cirith Ungol tat ich mich erst sehr schwer. Ungefähr um 2000 herum haben wir bei Hellion Records das Original-Tape von Paradise Lost gekauft. Tja, angehört und es gab mir überhaupt nichts. Irgendwann, ein halbes Jahr später, hat das komplette Album dann aber gezündet. Mein erster Cirith Ungol-Moment war daher ziemlich underwhelming. Mittlerweile liebe ich die Alben.
Aidan: Das kann ich aber bestätigen. Ich muss sagen, dass ich mich mit den Alben an sich schwer tue, aber die I’m Alive, die Live-Platte, finde ich echt stark. Das hat mir deutlich mehr gegeben als die Studioalben.
Und zum Schluss: Der HSV
André: Okay, ich würde dann mal mit einer Fußballfrage schließen.
Gordon Overkill: Nur der HSV!
André: [lacht] Tolles Schluss-Statement. Aber im Ernst, du musst im Moment ja ein bisschen leiden…
Gordon Overkill: Oh Gott, ey. [Fasst sich an den Kopf] Ich glaube, vor fünf Jahren war die Stirn nicht hier oben, sondern hier unten. Da fing der HSV an, nur noch Scheiße zu bauen – von Saison zu Saison. Und das traurige Ergebnis sieht man jetzt mir an. Naja, ich hätte mich so gefreut, wenn wir es dieses Jahr geschafft hätten. Einer meiner besten Freunde ist Schalker. Der hat sich so über mich lustig gemacht, als wir abgestiegen sind. Und ich hätte mich so gefreut, wenn die dieses Jahr mit einer unterirdischen Leistung runtergehen und wir hoch. Aber nee, der HSV hatte kein Bock darauf…
Aidan: [Mit prophetischem Blick einen Tag vor dem letzten Spieltag] Dafür könnt ihr ja bald Bremen willkommen heißen.
Gordon Overkill:[lacht] Wird auf jeden Fall eine starke Zweite Liga nächstes Jahr.
Aidan: Ja, unglaublich viele Traditionsclubs…
André: Ja, dann hoffen wir mal, dass dein HSV auch mal wieder nach oben kommt. Gordon, wir wünschen dir auch abgesehen davon alles Gute. Danke für deine Zeit! Und wir sind schon sehr gespannt auf neues Atom Smasher-Material. Wenn es vorliegt, quatschen wir drei wieder miteinander.
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