Heute präsentieren wir euch den zweiten Teil unseres großen Interviews mit David Kuri von Flame, Dear Flame. Wir wünschen euch viel Vergnügen beim Lesen! Wer Teil 1 noch nicht gelesen hat, kann dies hier nachholen.

André: Kommen wir zu Aegis. Wie lange habt ihr an der Scheibe gearbeitet?
David: 2017 haben wir mit dem Songwriting angefangen. Wir haben damals eine Weile gebraucht, um eine feste Besetzung zu finden. Leute kommen, Leute gehen – mittlerweile waren acht Leute bei Flame, Dear Flame. Die EP haben wir im Jahr 2018 aufgenommen, das ging also vergleichsweise schnell. Davon haben wir nur eine kleine Promo-Auflage angefertigt, die es in einem einfachen Pappschuber gab. Wir haben die EP an eine paar Bekannte verteilt und an die üblichen Adressen verschickt – auch Götz Kühnemund habe ich beim Hammer of Doom 2018 ein Exemplar in die Hand gedrückt und dabei gesagt: „Hier, hör‘ doch mal rein!“ Anfang 2019 erschien dann in der Demo-Sektion im Deaf Forever tatsächlich ein positiver Review. Daraufhin kamen dann die ersten Anfragen von Leuten, die sich auf eine Annonce von uns meldeten – wir suchten gerade einen Gitarristen. Unser damaliger Gitarrist ist nämlich direkt nach den Recordings bei Flame, Dear Flame ausgestiegen. Einige von ihnen meinten dann, dass sich Götz‘ Review vielversprechend anhöre und sie fragten, wo man die EP kaufen kann. Daher haben wir uns dazu entschieden, sie im Hauruck-Verfahren zu veröffentlichen. Den ersten Teil von „The Wolves and the Prioress“ gab es damals auch schon, zumindest in Rohform. Mit den Aegis-Aufnahmen haben wir dann im Januar 2020 angefangen, der letzte Feinschliff fand im April, also bereits im Lockdown, statt. Wir haben dafür also recht lange gebraucht, weil wir keine Band sind, die sich eine Woche ins Studio einschließt und alles runterprügelt. Daher haben wir uns diese Zeit genommen und alles Stück für Stück gemacht – das war meiner Meinung nach auch die richtige Entscheidung. Der ganze Prozess vom Abschluss der Recordings bis zum Release war nicht wirklich geradlinig – das ist aber auch normal, da immer viel an einer Albumveröffentlichung dran hängt, man denke an den Feinschliff beim Mix, das Mastering, das Artwork, das Packaging. Manche Labels wollen das Album erst, dann doch nicht… Diese ganzen Dinge führen schließlich dazu, dass es auch einmal anderthalb Jahre dauern kann, bis wirklich alles fertig ist.
André: Wie zufrieden bist du mit dem Endergebnis?
David: Ich hänge mich gerne vorher an Kleinigkeiten auf, aber wenn alles einmal aufgenommen ist, nicht mehr. Das macht nur unglücklich. Irgendwelche Stellen gibt es auf einem Album immer, an denen man zum Beispiel denkt, “da gefällt mir der Ton nicht”. Aber das ist dann einfach meine Meinung, das heißt ja nicht, dass etwas wirklich gut oder eben schlecht ist. Mir ist es, wie gesagt, viel wichtiger, ob etwas mutig und experimentell ist. Ich hoffe, dass wir das geschafft haben. Dementsprechend bin ich mit dem, was wir gemacht haben, auch rundum zufrieden. Ich bin selbst sehr gespannt, was wir als nächstes tun.
Aidan: Gibt es einen Song, den du besonders gelungen findest? Oder gibt es etwas, worauf du stolz bist, weil du dich da sehr viel getraut hast?
David: Der vierte Teil von „The Wolves and the Prioress“ stammt weitgehend aus der Feder von unserem Gitarristen Johannes, der direkt nach den Aufnahmen die Band verlassen hat – das scheint so ein Ding zu sein bei uns… Tief in meinem Innern gefällt mir der Song am besten, vielleicht auch weil ich ihn nicht selbst geschrieben habe und am ganzen Entstehungsprozess wenig beteiligt war. Da hat Johannes die Rohfassung geschrieben und wir haben daraufhin alle unseren Input gegeben. Die Vocal Lines kommen eigentlich immer von Maren, weil es für uns sehr wichtig ist, dass sie das singt, was sich für sie auch natürlich anfühlt. Es funktioniert für uns nicht, wenn man eine Vocal Line vorgibt und sagt: „Sing‘ das jetzt so.“ Das wird in den seltensten Fällen so gut wie das, was sie von sich heraus macht. Der vierte Teil von „The Wolves and the Prioress“ war in der angesprochenen Rohfassung bereits gut, aber in Synergie mit Marens Vocal Line ist aus dem Song das perfekte Schlusswort dieses Albums geworden. Daher ist das mein persönlicher Favorit.
André: Wie war das Feedback bis dato? Ein paar Rückmeldungen hat es ja sicherlich schon gegeben…
David: Dein Review war erst das zweite, das wir überhaupt gelesen haben, ein weiteres gab es davor noch von Streetclip. Mittlerweile gibt es weitere Reviews, die sich sehr positiv lesen (9/10 metal.de, 9/10 powermetal.de, 8/10 femforgacs.hu und gute Worte bei rocking.gr).
André: Euer Coverartwork ist hervorragend. Was verbirgt sich dahinter?
David: Der aufmerksame Betrachter wird feststellen, dass es im Booklet diese sieben Elemente gibt, die jeweils neben einem Songtext stehen. Diese Elemente finden sich auch auf dem Cover wieder. Es war die zentrale Idee, dass wir dort all diese sinnbildlichen Elemente, die für die einzelnen Songs stehen, in Einklang bringen. Uns war es zudem wichtig, dass unser Logo einen zentralen Platz einnimmt – mit dessen Gestaltung sind wir nämlich sehr zufrieden. Es sieht ein wenig aus wie ein Schild, was Sinn macht: Aegis, griechische Mythologie… Der Albumtitel hat aber keinen Bezug zum mythologischen Aegis, sondern bezieht sich mehr auf „Schutz“ bzw. „Schutzmantel“ – das passt zu allerlei Konzepten, die auf dem Album behandelt werden. Wir sind mit dem Artwork auf jeden Fall sehr zufrieden und froh, dass wir so großartige Künstler wie Kodex Barbaricus und Karmazid dafür gewinnen konnten.
André: Welche Künstler magst du im Allgemeinen, die in unserem Genre Artworks entwerfen?
David: In den letzten Jahren sind einige Künstler in unserer Szene bekannt geworden, zum Beispiel Mariusz Lewandowski – seit Mirror Reaper von Bell Witch ist er ja quasi überall. Seinen Stil mag ich auch sehr, mittlerweile ist er jedoch etwas abgenutzt, weil ihn irgendwann gefühlt jede zweite Band aus den extremeren Genres auf dem Cover hatte. Aber alles in allem gibt es niemandem, von dem ich sagen würde, das ist nun DER Cover-Künstler für mich – viele sind richtig gut.
André: Die Gitarrenarbeit auf Aegis ist exzellent. Seit wann spielst du eigentlich Gitarre? Wer hat dich auf dieser Ebene besonders inspiriert?
David: Mein Bruder, mein gesamter Kontakt zum Metal ist durch ihn zustande gekommen. Er ist vier Jahre älter als ich und hat früher die ganzen CDs angeschleppt, die ich mir dann auch anhören durfte. Dafür bin ich ihm sehr dankbar, denn dadurch hat er meinen ganzen Werdegang extrem geprägt. Ansonsten gibt es ein paar Gitarristen, von denen ich die Soli nachgespielt habe, Randy Rhoads war beispielsweise einer meiner Helden. Zudem ist Doug Aldrich zu nennen. Da gibt es einige, die technisch sehr beeindruckend sind und tolle Melodien spielen.
Aidan: Der Begriff „female fronted“ erregt oft die Gemüter – das haben wir auf unserem Blog schon mal erlebt. Wie stehst du eigentlich dazu?
David: Ein Label ist immer in gewisser Weise eine Reduktion. Das ist in Ordnung und es macht Sinn, weil man sich so besser zurechtfinden kann. Ich muss angesichts des großen musikalischen Angebotes heutzutage schnell filtern können, ob mich etwas möglicherweise interessiert. Das Label „female fronted“ impliziert, dass viele Leute dies als Filterkriterium benutzen – das finde ich schade. Es gab Zeitpunkte in meinem musikalischen Werdegang, an denen ich mich diesbezüglich nicht als unschuldig bezeichnen würde. Da dachte ich, “Metal mit Frauengesang finde ich schwierig”… Das zeigt aber nur, wie unfassbar begrenzt der eigene Horizont ist. Man reduziert ein komplettes Geschlecht auf eine Art von Klang – und das ist einfach bescheuert. Wir benutzen den Begriff „female fronted“ de facto nie.
Aidan: In diesem Jahr sind viele starke Epic Doom-Scheiben aus Deutschland erschienen. Wie schätzt du die Szene hierzulande aktuell ein? Gibt es deiner Meinung nach überhaupt solch eine Szene? Was macht sie so stark?
David: Die Qualität der Releases ist auf jeden Fall frech hoch – aber darüber beschwere ich mich natürlich nicht. Ich muss sagen, wir haben als Flame, Dear Flame ja noch nicht ein einziges Konzert gespielt. Wir waren drauf und dran, dann kamen gesundheitliche Probleme dazwischen und auf einmal gab es Corona. Die Epic Doom-Szene kann man, glaube ich, erst wirklich beurteilen, wenn man auf Bühnen gestanden und die anderen Bands kennengelernt hat. Daher kann ich Stand jetzt nur sagen, dass wir regelmäßige Besucher auf dem Hammer of Doom sind, was mein absolutes Lieblingsfestival ist, weil da eine unfassbar entspannte Atmosphäre herrscht. Du erlebst da nichts von all dem Firlefanz, den du auf anderen Festivals oft hast, d.h. wer hat die engste Spandexhose, wer hat die weißesten Turnschuhe… Für viele Leute ist der Style Teil des Spaßes und das ist auch komplett okay, persönlich finde ich es aber auf die Dauer anstrengend und wenn die Musik in den Hintergrund rückt, bin ich raus. Man kann hier, neben dem Hammer of Doom, natürlich noch einige andere Festivals nennen, das Storm Crusher zum Beispiel, bei dem wir auftreten, wird sicherlich auch großartig, darauf freue ich mich schon riesig.
André: Wie würdest du am liebsten eine Show deiner Band in Szene setzen? Was wäre dir da visuell wichtig?
David: Das ist eine sehr schwierige Frage! Wir haben für uns als Band auf jeden Fall einstimmig entschieden, dass Flame, Dear Flame nicht die richtige Band ist, um auf eine Clubtour zu gehen und 30 Shows an 30 Tagen vor jeweils 30 Leuten zu spielen. Da sehen wir uns nicht, das geht bei uns schon rein praktisch nicht. Wir wollen eher versuchen, die Anzahl der Shows zu reduzieren, sodass wir uns bei jeder Show entsprechend Mühe geben können, um diese zu etwas Besonderem zu machen. Was das nun genau heißt, kann ich euch offen gestanden selbst noch nicht sagen. Natürlich ist es ein Gedanke, das narrative Konzept auf der Bühne theatralisch umzusetzen. Das ist eine Möglichkeit, die sehr schnell nach hinten losgehen kann. Da müssen wir selbst noch einmal schauen: Was wollen wir? Und was können wir auch? Welchen Aufwand können wir betreiben? Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass der Fokus bei unseren Shows schon stark auf der Musik liegen wird – und nicht auf dem großen Bühnenbild oder auf theatralischen Verkleidungen. Bei Flame, Dear Flame geht es eben sehr stark um Natürlichkeit und Echtheit. Naja, wir werden sehen: Ich bin selbst gespannt auf unsere erste Show!
Aidan: Kommen wir zu einer Standardfrage, die wir fast immer stellen. Wie würdest du den Begriff Epic Metal definieren? Was macht Musik episch?
David: Für mich gibt es verschiedene Bedeutungen dieses Begriffes. Episch kann für mich einerseits dieses sehr heroische Feeling sein – was ich bei Flame, Dear Flame weniger sehe. Eine Band wie Possessed Steel wäre für mich eine epische Band, weil sie einfach eine heroische Geschichte erzählt. Eine andere Definition, die für unsere Band besser passt, bezieht sich auf eine gewisse Erhabenheit des Sounds. Da sehe ich uns, auch wenn der Begriff „erhaben“ wiederum nicht leicht zu definieren ist.
André: Sind in diesem Jahr bereits Alben erschienen, die du sehr stark fandest, die wir bislang in unserem Gespräch nicht genannt haben?
David: Ja, die neue Lunar Shadow – das ist für mich eigentlich per se immer mein Album des Jahres, wenn diese Band etwas herausbringt. Das wird diesmal mit Wish to Leave wohl ziemlich sicher nicht anders sein. Ich finde, die Band schafft genau das, was ich von Musik erwarte: Sie haben einen nicht zu stillenden Drang zu experimentieren und sich weiterzuentwickeln. Dabei beweisen sie sehr viel Mut – das finde ich sehr interessant und betrachte es als eine wahnsinnige Leistung. Ich habe generell großen Respekt vor Max und seinem Gitarrenspiel: Live ist er für mich einer der beeindruckendsten Gitarristen, die ich je gesehen habe.
Aidan: Welche fünf Alben würdest du generell als deine Lieblingsplatten bezeichnen? Welche Scheiben nimmst du mit auf die berühmte einsame Insel?
David: Rainbow – wohl das Debüt. Solstice – New Dark Age, Lunar Shadow – Far From Light (das ist eine schwierige Wahl für mich zwischen deren Alben). Dazu Fates Warning – Awaken the Guardian sowie für den guten Mix, damit es nicht nur Metal ist, Neil Young – Harvest.
André: Kommen wir zur letzten Frage, die ein ganz anderes Thema anschneidet. Wie stehst du zum Thema Social Media?
David: Eine sehr komplizierte Frage, die ihr da stellt, darüber kann man Bücher schreiben… Einer der großen negativen Effekte ist, dass man sich in einem sich selbst verstärkenden System befindet. Man folgt üblicherweise Leuten, die die eigene Meinung teilen, andere Meinungen hingegen blendet man aus. Irgendwann fällt es schwer, diese Meinungen überhaupt noch kritisch zu hinterfragen. Das ist nicht die Schuld von Social Media, sondern von uns. Aber es ist fraglos ein Problem. Auf der anderen Seite ist es einfach ein Werkzeug. Ich nutze Social Media vor allem, um neuer Musik zu folgen und auf dem Laufenden zu bleiben. Ich glaube, das wäre für mich ohne Social Media tatsächlich unmöglich, gerade aktuell während Corona – dieser Austausch würde mir wohl fehlen.
André: Und ohne Social Media hätte dieses Interview vermutlich gar nicht stattgefunden! David, wir danken dir abschließend noch einmal ganz herzlich für deine Zeit. Wir wünschen euch ganz viel Erfolg mit Flame, Dear Flame. Wir hoffen auf viele richtig gute Reviews und vor allem zahlreiche aufmerksame Zuhörer, die das Besondere an eurer Musik erkennen und zu schätzen wissen. Grüße deine Bandkollegen bitte herzlich von Aidan und mir!
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