Am vergangenen Wochenende hat es Aidan und mich nach Mannheim verschlagen, da wir uns dort die erste Ausgabe des Atmospheric Arts Festivals anschauen wollten. Rückblickend betrachtet war dies ein ausgesprochen gelungener Start ins Konzert- und Festivaljahr 2023. Eine Band, die einen großen Teil zu unserem tollen Erlebnis in der Kurpfalz beigetragen hat, war Eïs, der nominelle Co-Headliner im kultigen 7er-Club (das Beitragsbild stammt von diesem Gig). Vor diesem Hintergrund unterhielt ich mich mit deren Bandkopf Alboîn über allerlei unterschiedliche Themen. Herausgekommen ist ein sehr persönliches und tiefgründiges Interview, für das wir sehr dankbar sind. Viel Vergnügen beim Lesen – und Nachdenken!

André: Hallo Alboîn, danke, dass du dir Zeit für unseren Blog nimmst. Mein Kollege Aidan und ich haben am 14.01. die erste Ausgabe des Atmospheric Arts Festivals in Mannheim besucht. Hast du in der Vergangenheit eigentlich schon oft im 7er-Club gespielt?
Alboîn: Moin André, sehr gerne. Das mag etwas überraschend sein, aber wir haben das erste Mal im 7er-Club gespielt (und ich bin auch mit keiner anderen Band je da aufgetreten). Etwas spezieller Laden, aber charmant und vor allem jetzt beim Atmospheric Arts richtig gut gefüllt!
André: Wie hat dir das Festival gefallen? Wir waren sehr begeistert – 5 tolle Bands, dazu eine ziemlich volle Hütte, wie du gerade selbst gesagt hast…
Alboîn: Ja, das ging uns genauso. Das Veranstalterteam von Gypfelsturm Konzerte hat ja das erste Mal so eine Veranstaltung organisiert und die Messlatte gleich mächtig hoch gelegt. Die Bandauswahl war wirklich exzellent, alle Bands bewegen sich grob im atmosphärischen extremen Metalbereich und sind trotzdem individuell verschieden gewesen, aber alle qualitativ sehr hochwertig und auch unglaublich nette Leute und tolle Musiker. Organisatorisch hat alles gut funktioniert, wir sind fantastisch verpflegt und umsorgt worden. Diese Zufriedenheit merkt man natürlich auch den Auftritten an. Wenn du als Künstler nicht gut behandelt wirst, spürt man das ja auch auf der Bühne. War jedenfalls alles in allem ein geiler Abend, jederzeit gerne wieder!
André: Aidan und mir ist bereits im Dezember bei der Wintermelodei in Münster aufgefallen, dass das Publikum auf Black Metal-Festivals deutlich jünger ist als bei vielen Veranstaltungen im klassischen Metal-Bereich. Beim Atmospheric Arts war das auch der Fall. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Alboîn: Das ist eine interessante Beobachtung. Wir hatten bandintern das Thema am Wochenende auch auf dem Tisch und sind eigentlich gegenteiliger Auffassung, wenn man das in der Breite betrachtet. Natürlich hast du auf einem Extremmetalkonzert mit größtenteils jüngeren Bands in der Regel auch etwas jüngeres Publikum als beispielsweise bei einer Deep Purple-Coverband, aber so richtig „jung“ ist das eigentlich auch nicht. Aber du hast schon recht, wenn ich nochmal darüber nachdenke, habe ich schon einiges an „Nachwuchspublikum“ um die 20 oder so gesehen, und das ist natürlich unglaublich erfreulich. Trotzdem, auf anderen Veranstaltungen in dem Genre nehme ich eher wahr, dass eigentlich immer dieselben Leute da rumhängen, die auch vor 15 oder 20 Jahren schon da waren. Das würde heißen, dass es eine Durchalterung aller Szenen, die mit handgemachter Musik zu tun haben, gibt, und vielleicht auch eine immer weiter voranschreitende Aufsplitterung in Sub-Szenen, weil auch das Angebot immer vielschichtiger wird. Aber zurück zu deiner eigentlichen Frage: Schwer zu sagen, woran das liegt. Vielleicht ist es die Szene in Mannheim und Umgebung, die jünger als woanders ist. Vielleicht sind es die Bands, die nicht schon seit 30 Jahren ihre Klassiker spielen und alteingesessene Boomer-Fans anziehen, sondern eben relativ junge Bands aus einem klaren Nischenbereich, mit Themen für jüngere Menschen und einer moderneren Ästhetik. Vielleicht war‘s auch einfach Zufall, oder irgendwas ist im Mannheimer Wasser, was die Leute alle so jung und attraktiv aussehen lässt. [lacht] Wer weiß.
André: Trinkt mehr Mannheimer Wasser, das wird es sein! Auf welchen Festivals bist du eigentlich häufiger als Fan anzutreffen? Und wo bist du mit deiner Band besonders gerne aufgetreten?
Alboîn: Passend zu deiner vorherigen Frage muss ich sagen, dass ich mit fortschreitendem Alter immer seltener unterwegs bin. Generell war ich nie der riesige Festivalfan, war aber immer gerne auf dem Ragnarök, einige Jahre lang auf dem Dark Troll, und das Party.San hat’s mir zwar spät, aber dafür sehr angetan, und auch das Prophecy Fest als Veranstaltungsreihe unseres Labels ist immer ein Erlebnis. Lange war ich auch gerne auf dem Barther Metal Open Air, was immer eine Art Urlaub war, weil es so wunderschön gelegen an der Ostsee stattfand. Leider gehen mir bestimmte Entwicklungen in der Szene in den letzten Jahren immer mehr auf den Sack, und das hat mir ganz schön den Spaß verhagelt. Machen wir uns außerdem nix vor, mit jedem weiteren Jahr brauchst du länger, um dich von so einem Wochenende zu erholen… Auftritte hatten wir sehr viele sehr gute und spaßige, und wenn ich bewusst darüber nachdenke, nur wenige wirklich schlechte. Viele Erinnerungen verblassen auch, und es bleiben nur die herausragend schönen, die erschreckend schlechten und die lustigen Ereignisse wirklich haften. Ist bestimmt auch ganz gut so.
André: Eïs gibt es ja nun schon viele Jahre, zunächst als Geïst. Was waren für dich die Highlights auf eurer seit 2005 andauernden Reise?
Alboîn: Im Grunde ist das für mich trotz vieler vieler Rückschläge und Tiefphasen eigentlich ein einziges Highlight, und ich bin unheimlich dankbar für all diese Möglichkeiten und Erlebnisse. Das ist nüchtern betrachtet so wenigen Menschen vergönnt, andere Menschen tief zu bewegen und zu begeistern mit der eigenen Kunst, dass ich mit viel Nostalgie und Bewegtheit an diese fast 20 Jahre zurückdenke. Klar, eine Menge Dinge sind richtig beschissen gewesen, der Weg dieser Band war nie eben und gradlinig. Aber was willst du auch bei Menschen erwarten, die eine so düstere und emotionale Musik machen, da ist eben auch nicht immer alles, wie es in einer Idealvorstellung der Welt laufen sollte. Wenn ich eines oder zwei Highlights herausgreifen sollte, dann ist das einmal eine Reise gewesen, die mich mit unserem Gitarristen Abarus und unserem ehemaligen Schlagzeuger Torrent für eine Woche in eine norwegische Hütte an einem Fjord verschlagen hat. Das war an Magie schwer zu überbieten. Und ein anderes Highlight ist, glaube ich, unser vorläufiger Abschiedsgig auf dem Ragnarök gewesen, bei dem mich die schieren Emotionen des Publikums vollkommen überwältigt haben. Das ist wirklich unbeschreiblich bewegend.
André: Mal angenommen, ich möchte jemanden für eure Band begeistern: Welche drei Eïs-Songs sollte ich ihm oder ihr als Einstieg vorspielen?
Alboîn: Puh. Das kommt ein bisschen darauf an, aus welcher musikalischen Richtung jemand in den Bereich des Black Metal vorstößt. Für Menschen, die vielleicht aus dem Doom, Drone oder Ambient kommen, würde ich „Unter toten Kapitänen“ vom Galeere-Album (2009) auswählen. Den Puristen wird möglicherweise ein Stück wie „Winters Schwingenschlag“ oder „Erben aller Einsamkeit“ (von Patina und Kainsmal, 2005 und 2006) zusagen. Wer es klassisch skandinavisch mag und einfach mitgerissen werden möchte, dem könnte „Mann aus Stein“ oder eigentlich jedes andere Stück von Wetterkreuz (2012) zusagen. Wenn es um die emotionale und inhaltliche Essenz geht, die diese Band immer angetrieben und ausgemacht hat, dann gibt es eigentlich nur eine Wahl: „Stillstand und Heimkehr“, der Titeltrack der letzten EP.
André: Das ist eine super Auswahl, danke dir! Blicken wir in die Zukunft: Euer letzter Release, die von dir soeben angesprochene EP Stillstand und Heimkehr, ist im Jahr 2018 erschienen. Wann können wir neuem Eïs-Material auf Platte rechnen?
Alboîn: Ich kann absolut verstehen, dass du das fragst, und ich habe die Frage natürlich – bandintern und bandextern – in den letzten Jahren häufiger beantwortet. Die Antwort ist aber immer dieselbe und immer gleich enttäuschend: Ich weiß es nicht. Songs zu schreiben ist für mich kein rationaler, steuerbarer Prozess, so als wenn ich mir vornehmen würde, die Reifen zu wechseln oder den Papiermüll rauszubringen. Viele Faktoren spielen da eine Rolle, damit ich kreativ sein kann, und in erster Linie brauche ich eine Vision davon, was ich überhaupt aussagen will und ein Grundgefühl, an dem ich mich entlanghangeln kann. Meist hatte das Kreativsein für mich eine kathartische Funktion, weil es mir einfach beschissen ging, und das ist einfach in den letzten Jahren – glücklicherweise – nicht mehr der Fall. Sicher gibt es genug Ideen, um damit ein Album zu füllen. Für mich war aber die Stärke unserer Alben immer, dass sie inhaltlich homogen und aussagekräftig waren, und dabei sehr persönlich. Irgendwelches Geschwafel über satanische Riten oder esoterisches Geschwurbel kann ich nicht, das bin ich nicht und will ich auch nicht sein. Ein neues Eïs-Album muss wohl ein Album über mich sein, und ich kann über mich gerade zu wenig sagen. Deshalb: Geduld. Wird bestimmt passieren, aber braucht einfach Zeit. Bis dahin habe ich mir mit meinem Studio, Nightside Audio, ein schönes Betätigungsfeld gesucht, das mir unheimlich viel Spaß bereitet.
André: Welche Ereignisse oder Erlebnisse inspirieren dich beim Songwriting? Man könnte sagen, dass die aktuelle Weltlage reichlich Stoff für eine Black Metal-Band liefert…
Alboîn: Für eine vielleicht, für diese nicht. Natürlich macht die derzeitige weltgesellschaftliche Situation auch einiges mit mir und mit uns. Uns geht es sicherlich nicht so gut wie vor den Ereignissen der letzten drei Jahre, aber sicherlich auch nicht so richtig schlecht. Wir haben ein Dach über dem Kopf, frieren nicht, verhungern nicht, werden nicht verfolgt oder bedroht und können uns immer noch mehr Luxusartikel leisten, als wir je brauchen werden. Und noch ist unser Leben durch die fortschreitende Klimakatastrophe nicht akut bedroht, mit der Betonung auf noch. Was mich eher beschäftigt ist, was Menschen antreibt, sich zu verhalten, wie sie sich verhalten. Warum hat ein großer Teil der Menschen weiterhin so wenige Probleme damit, wenn Tiere gequält und getötet werden? Warum hassen Menschen andere, weil sie an eine andere ausgedachte religiöse Fantasie glauben als sie selbst? Warum haben Menschen Angst, in persönlichen emotionalen Kontakt mit anderen Menschen zu treten, während gleichzeitig die Anzahl sexueller Errungenschaft als Währung für soziale Anerkennung und Selbstbewusstsein immer wertvoller wird? Warum hat Bildung in weiten Teilen der Gesellschaft keinen Wert mehr? Mein Gefühl sagt mir, dass ich mich von dieser Gesellschaft immer weiter entfremde und oft geradezu mit Eskapismus liebäugle, aber dann fällt mir auf, dass das Problem ja auf dem ganzen Planeten besteht und ich Sehnsucht nach einem Ort habe, den es vermutlich gar nicht gibt. Ich vermute, dass das der einzige Quell für Inspiration ist, aus dem es sich zu schöpfen lohnt. Alles andere verblasst neben der Wichtigkeit dieser Themen, für mich jedenfalls.
André: Welche Black Metal-Platten haben dich als Künstler am meisten geprägt?
Alboîn: Diese Liste könnte sehr, sehr lang sein, ich will sie mal verkürzen. Musikalisch sind das einige Alben aus den Mittneunzigern, nahezu alle aus Norwegen: Covenant – In Times before the Light, Troll – Trollstorm over Nidinqjuv, Burzum – Filosofem, Kvist – For Kunsten Maa Vi Evig Vike, Emperor – Anthems to the welkin‘ at dusk, Gehenna – First Spell, Windir – Arntor, Darkthrone – Panzerfaust, Limbonic Art – Moon in the Scorpio, Summoning – Minas Morgul, Lunar Aurora – Weltengänger, Nocte Obducta – Taverne, um nur ein paar zu nennen. Ich kann dir zwar nicht sagen, was ich gestern zum Frühstück hatte, aber 200 Alben aus der Zeit könnte ich dir vermutlich nennen, die mich heute noch tief bewegen.
André: Welche jüngeren Black Metal-Bands findest du im Moment besonders spannend?
Alboîn: Das hält sich in Grenzen. Ist auch Opa-Sprech, aber es ist wirklich so: Irgendwann hast du so gut wie alles gehört, und ab dann wiederholt sich alles in leichten Variationen. Letztlich ist das Wesentliche in dieser Musik gesagt, möchte ich behaupten, und bis auf sehr wenige Ausnahmen kocht dann alles in der eigenen Suppe und rezitiert sich munter selbst. Das ist ja per se auch nichts Schlechtes, aber ich muss mir auch nicht zum fünfzehnten Mal einen Dissection-Clone anhören. Objektiv muss ich aber sagen, dass die durchschnittliche Qualität der Veröffentlichungen um einiges höher ist als vor 20 oder 25 Jahren, weil sich natürlich auch die Produktionsbedingungen geändert haben. Du kannst quasi am Küchentisch ein Album aufnehmen und das mit ein paar Klicks weltweit vertreiben. Verglichen mit dem Aufwand, den man früher treiben musste, damit Menschen deine Musik hören konnten, ist das paradiesisch. Ob sich dadurch auch die Qualität des künstlerischen Ausdrucks verbessert, ist natürlich eine ganz andere Frage. Und dass man sich das alles unmöglich anhören kann, ist ja ohnehin klar. Einige Bands, die mich in den letzten Jahren begeistern konnten und die vielleicht – als Band, wenn auch nicht im Lebensalter – als jünger gelten können, sind allen voran Whoredom Rife, aber auch Djevel (wenn auch nicht mit allem, was sie aufgenommen haben), Ateiggär mit ihrer EP, Gaahl’s Wyrd – und in meiner Tätigkeit als Produzent mit Nightside Audio unter meiner Mitwirkung entstanden, also nicht so ganz objektiv: Nattehimmel, die eigentlichen In the Woods…, die im Mai ihr erstes Album veröffentlichen werden. Absolut fantastisch! Es gibt also auch immer wieder Platten, die mich total begeistern, aber meistens eben von Menschen, die genauso lange dabei sind wie ich.
André: Am 28.01. spielt ihr in Oberhausen im Helvete. Sind Heimspiele in NRW für euch eigentlich immer etwas Spezielles? Ich nehme an, dort seht ihr sicherlich immer besonders viele bekannte Gesichter vor der Bühne.
Alboîn: Für mich ist das wegen des Ortes nichts Spezielles. Ich bin aber auch ein Mensch, der sehr wenige Heimatgefühle hat, und auch wenn ich lange in NRW gelebt habe und das immer noch tue, hängt daran nichts Besonderes. Aber es ist natürlich immer schön, Menschen bei Konzerten zu sehen, die man kennt und über deren Wiedersehen man sich freut. Das ist aber in NRW genauso wie überall anders, wenn ich ehrlich bin. [lacht]
André: Alboîn, ich danke dir für das sehr interessante Gespräch und wünsche dir sowie deiner Band alles Gute für das Jahr 2023!
Alboîn: Wir haben für das Interesse zu danken, das ihr an uns zeigt. Viel Erfolg für euren Blog!
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Wenn ihr Eïs unterstützen möchtet, besucht doch einmal deren Bandcamp-Seite. Dort gibt es zum Beispiel die komplette digitale Diskographie der Band (8 Releases) für einen sehr fairen Preis.
Ein Kommentar zu „Interview: Eïs“